I. Reform des familiengerichtlichen Verfahrens
Das gerichtliche Verfahren in Familiensachen ist in vielen verschiedenen
Verfahrensordnungen geregelt: Es ist teilweise in der Zivilprozessordnung, dem
Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, der
Hausratsverordnung und verschiedenen weiteren Gesetzen niedergelegt. Diese
Unübersichtlichkeit soll mit der Reform beseitigt werden, darüber hinaus wird
die inhaltliche Gestaltung des Verfahrens verbessert.
„Das familiengerichtliche Verfahren ist wie keine andere gerichtliche
Auseinandersetzung von Gefühlen geprägt. Diese emotionalen Konflikte lassen sich
nicht durch ein Gericht aus der Welt schaffen – sie haben aber einen
maßgeblichen Einfluss auf den Verlauf eines Verfahrens und die Möglichkeiten zu
einer gütlichen Einigung. Mit unserer Reform wollen wir daher weitere Mittel zur
Verfügung stellen, um familiäre Auseinandersetzungen vor Gericht so fair und
schonend wie möglich auszutragen. Dazu sollen vor allem Konflikt vermeidende und
Konflikt lösende Elemente im Verfahren gestärkt werden“, sagte
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries.
Folgende Elemente sollen dabei eine Rolle spielen:
- Erleichterung der einverständlichen Scheidung bei kinderloser Ehe,
- Beschleunigung von Verfahren über das Umgangs- und Sorgerecht durch
Einführung von Elementen des sog. Cochemer Modells,
- Verstärkung der Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte betroffener Kinder
durch Präzisierung der Funktionen des Verfahrenspflegers (künftig:
Verfahrensbeistand),
- Effizientere Gestaltung der Durchsetzung von Entscheidungen zum
Sorgerecht, zur Kindesherausgabe und zu Umgangsregelungen, sowie
- Zuständigkeit des „Großen Familiengerichts“ insbesondere für alle
Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit Trennung und Scheidung.
1. Vereinfachtes Scheidungsverfahren
An die Stelle der bisherigen einverständlichen Scheidung soll ein
vereinfachtes Scheidungsverfahren treten. Scheidungswillige Ehegatten ohne
gemeinsame Kinder können dieses Verfahren durch übereinstimmende, notariell
beurkundete Erklärung wählen, wenn sie sich – ebenfalls in notarieller Form –
über den Ehegattenunterhalt sowie – formfrei – über Hausrat und Ehewohnung
geeinigt haben. Die Ehegatten brauchen sich dann im nachfolgenden gerichtlichen
Verfahren nicht durch einen Anwalt vertreten zu lassen.
Dieses Verfahren hat ein beachtliches Anwendungsfeld. Fast 71% aller
Scheidungen (146.125) erfolgen nach dem Trennungsjahr einvernehmlich (2002).
Rund 50% aller geschiedenen Ehen sind kinderlos. Für solche Paare, die sich
einvernehmlich scheiden lassen und keine gemeinsamen Kinder haben, kommt künftig
das vereinfachte Scheidungsverfahren in Betracht.
Das vereinfachte Scheidungsverfahren bietet gegenüber dem geltenden Recht in
mehrfacher Hinsicht Vorteile:
- Es fördert die Einvernehmlichkeit durch die gemeinsame Beauftragung des
Notars und die im Rahmen der notariellen Beratung und Beurkundung erfolgenden
gemeinsamen Erarbeitung von Regelungen für die Scheidungsfolgen (Unterhalt und
Verteilung des Hausrats).
- Es vermeidet Folgestreitigkeiten. Die Ehegatten brauchen keine
Scheidungsfolgen offen zu lassen, nur um eine günstige und schnelle Scheidung
zu erreichen.
Beispiel: Um so schnell und kostengünstig wie möglich
geschieden zu werden, verzichten die Ehegatten darauf, neben der Scheidung
auch den Unterhalt vor Gericht anhängig zu machen, und einigen sich auf eine
freiwillige Zahlung. Dies ist nach geltendem Recht möglich. Nachdem die
ehemalige Ehefrau weitere Zahlungen verweigert, klagt der Mann zwei Jahre
später in einem neuen Verfahren auf Unterhalt. Beim vereinfachten
Scheidungsverfahren würde ein solches Folgeverfahren vermieden, denn es setzt
eine notarielle Einigung über den Unterhalt zwingend voraus und schafft so
einen Anreiz, diese Frage sofort verbindlich zu klären.
- Es vereinfacht das gerichtliche Verfahren, weil außer dem
Versorgungsausgleich keine weiteren Scheidungsfolgen gerichtlich verhandelt
werden müssen.
- Der Wegfall der Rechtsanwaltsgebühren führt – auch unter Berücksichtigung
der Gebühren für einen Notar – zu einer erheblichen Kostenersparnis für die
Beteiligten. D.h. die Kosten einer Scheidung betragen im Durchschnitt weniger
als die Hälfte der Kosten einer Scheidung nach geltendem Recht mit einseitiger
anwaltlicher Vertretung.
- Das vereinfachte Scheidungsverfahren kann zeitnah abgeschlossen werden.
Die Beteiligten haben die Möglichkeit, nach sechs Monaten die Abtrennung des
Versorgungsausgleichs zu beantragen und die Scheidung durchzuführen. Nach
geltendem Recht ist eine Abtrennung des Versorgungsausgleichs regelmäßig erst
nach zwei Jahren möglich. In aufwändigen Verfahren kann daher eine Scheidung
erst nach Ablauf dieses Zeitraums ausgesprochen werden.
2. Kindschaftssachen
Der Entwurf des FamFG schafft die Voraussetzungen dafür, dass
Kindschaftssachen, die die elterliche Sorge, das Umgangsrecht oder die
Herausgabe eines Kindes betreffen, zukünftig noch schneller einer Lösung
zugeführt werden können. Zugleich wird die Durchsetzung gerichtlicher
Entscheidungen verbessert.
a) Vorrangige und beschleunigte Bearbeitung
Diese Verfahren sollen im Interesse des Kindeswohls durch Einsatz von
Elementen des sogenannten „Cochemer Modells“ beschleunigt und verbessert werden:
- Im Interesse des Kindeswohls wird ein ausdrückliches und umfassendes
Vorrang- gebot für Kindschaftssachen, die den Aufenthalt oder die Herausgabe
des Kindes oder das Umgangsrecht betreffen, in das Gesetz aufgenommen. Die
bevorzugte Erledigung der genannten Kindschaftssachen hat im Notfall auf
Kosten anderer anhängiger Sachen zu erfolgen. In der gerichtlichen Praxis
werden sich Prioritäten zugunsten von Kindschaftssachen der genannten Art
künftig noch deutlicher als bisher herausbilden. Das Vorrangsgebot gilt dabei
in jeder Lage des Verfahrens.
- Die Verfahren sollen zeitnah verhandelt werden. Das Gericht soll in
Verfahren, die den Aufenthalt des Kindes, seine Herausgabe oder das
Umgangsrecht betreffen, spätestens einen Monat nach Eingang des Antrags eine
Erörterung mit allen Beteiligten durchführen. Dabei soll es versuchen, eine
einvernehmliche Lösung des Konflikts zu erreichen. Gelingt dies nicht, muss es
den Erlass einer einstweiligen Anordnung prüfen und mit den Beteiligten
erörtern. Gerade hier besteht ein besonderes Bedürfnis für eine schnelle
Entscheidung über einen Antrag, der den Umgang nach der Trennung der Eltern
klären soll. Nur eine sofortige Regelung vermeidet die Gefahr, dass der Umgang
zwischen dem Kind und dem nicht betreuenden Elternteil für lange Zeit
unterbrochen wird – und diese Beziehung dadurch möglicherweise nachhaltig
gestört wird.
- Die Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte des betroffenen Kindes werden
verstärkt. In schwierigen Fällen wird dem Kind künftig ein Verfahrensbeistand
zur Seite stehen. Dessen Aufgabe ist es, im gerichtlichen Verfahren die
Interessen des Kindes zu vertreten und das Kind über den Ablauf des Verfahrens
und die Möglichkeiten der Einflussnahme in kindgerechter Weise zu informieren.
Im Gegensatz zu dem bisherigen Verfahrenspfleger kann der Verfahrensbeistand
eine aktive Rolle in dem Konflikt übernehmen und zu einer einvernehmlichen
Umgangsregelung – beispielsweise durch Gespräche mit den Eltern – beitragen.
- Insgesamt soll eine Verkürzung der Verfahrensdauer in sorge- und
umgangsrechtlichen Verfahren bewirkt werden. Die durchschnittliche
Verfahrensdauer ist in diesen Verfahren mit 6,7 Monaten (Umgang) bzw. 7,5
Monaten (Sorgerecht) [Zahlen für das Jahr 2003] unter Kindeswohlaspekten noch
verbesserungsbedürftig.
b) Verbesserte Durchsetzung der Entscheidungen zum Sorge- und
Umgangsrecht
- Die Vollstreckung von Sorge- und Umgangsentscheidungen wird schneller und
effektiver ausgestaltet. Bei Verstößen gegen Verpflichtungen aus Sorge- und
Umgangsentscheidungen werden künftig nicht mehr Zwangsmittel, sondern
Ordnungsmittel verhängt. Diese können – anders als Zwangsmittel – auch noch
nach Ablauf der Verpflichtung wegen Zeitablaufs festgesetzt und vollstreckt
werden.
Beispiel: Trotz entsprechender Vereinbarung will eine Mutter
das Kind über Ostern nicht zum getrennt lebenden Vater gehen lassen. Aufgrund
der Feiertage verhängt das Gericht erst nach Ostern ein Ordnungsgeld in Höhe
von 200 Euro gegen die Frau. Diesen Betrag muss sie zahlen, obwohl das Kind
Ostern dann schon nicht mehr beim Vater verbringen kann. Anders beim
Zwangsgeld: Dieses kann nämlich nur verhängt werden, solange sich die
Verpflichtung auch tatsächlich durchsetzen lässt – also nur während der
Ostertage, was in der Praxis schwierig sein dürfte.
- Im BGB wird die Möglichkeit der Bestellung eines Umgangspflegers
vorgesehen werden. Dieser soll bei schwerwiegenden Umgangskonflikten
sicherstellen, dass der Kontakt des Kindes zu dem Umgangsberechtigten nicht
abbricht.
3. Großes Familiengericht
Nach geltendem Recht sind die Familiengerichte neben dem Scheidungsverfahren
zwar auch für Unterhaltsstreitigkeiten oder Streitigkeiten aus dem ehelichen
Güterrecht zuständig. Zahlreiche vermögensrechtliche Streitigkeiten, deren
Ausgang für eine Unterhaltspflicht oder den Umfang des auszugleichenden
Zugewinns bedeutsam sind, fallen aber in die Zuständigkeit der Zivilabteilungen
der Amts- und Landgerichte.
Typische Fälle sind Streitigkeiten über den Ausgleich untereinander, wenn ein
Ehepartner aus einem gemeinsamen Darlehen in Anspruch genommen wird, oder die
Frage der Nutzungsentschädigung, wenn ein Ehegatte nach der Trennung die
Ehewohnung allein weiter nutzt.
Durch die Reform soll die sachliche Zuständigkeit der Familiengerichte
erweitert werden, um tatsächlich zusammenhängende Rechtsstreitigkeiten auch
zusammenhängend entscheiden zu können.
Ordnungskriterium ist dabei allein die Sachnähe des Familiengerichts zum
Verfahrensgegenstand. Im Interesse aller Beteiligten soll es dem Familiengericht
möglich sein, alle durch den sozialen Verband von Ehe und Familie sachlich
verbundenen Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden. Auf diese Weise werden
Verfahrensverzögerungen, Aussetzungen und Mehrfachbefassung von Gerichten
vermieden. Dies führt im Ergebnis zu einer effektiveren Arbeit der Gerichte und
ist für alle Verfahrensbeteiligteten weniger aufreibend.
II. Reform der freiwilligen Gerichtsbarkeit
Das geltende Verfahrensgesetz (FGG) für die Angelegenheiten der freiwilligen
Gerichtsbarkeit (Betreuungs-, Unterbringungs-, Nachlass- und Registersachen)
stammt aus dem Jahre 1898 und wurde immer nur punktuell nachgebessert. Die
Reform ersetzt das lückenhafte FGG durch eine vollständige, moderne
Verfahrensordnung mit verständlichen, überschaubaren und einheitlichen
Strukturen für alle Rechtsgebiete. Die Freiheitsentziehungssachen werden in die
neue Verfahrensordnung integriert; das eigenständige Verfahrensgesetz für diese
Sachen wird überflüssig.
Die neue Verfahrensordnung definiert erstmals umfassend die Verfahrensrechte
und die Mitwirkungspflichten der Beteiligten und sichert ihren Anspruch auf
rechtliches Gehör. Sie harmonisiert das zersplitterte Rechtsmittelsystem der
freiwilligen Gerichtsbarkeit durch die flächendeckende Einführung der
fristgebundenen sofortigen Beschwerde und die Eröffnung der Rechtsbeschwerde zum
Bundesgerichtshof zur Klärung rechtlicher Grundsatzfragen.