Immer mehr Menschen lassen die Gene ihrer Kinder testen - und bekommen dabei oft unangenehme Wahrheiten zu hören

Die Zweifel der Männer

Wer kann schon sicher sein, dass er der Vater seiner Nachkommen ist - vor allem nach Feiertagen verdienen Labore an männlichen Ur-Ängsten

Von Christina Berndt

München, im Dezember - Der Ort der Wahrheit liegt in einem hässlichen Hinterhof in der Nähe des Münchner Hauptbahnhofs. Keine Klingel zeigt ihn an. Kein Schild weist den richtigen Weg. Die Männer finden ihn trotzdem.

Meist sind es Männer, die auf der Suche nach der Wahrheit hierher kommen. In einem schlichten Raum finden sie sich wieder. Er hat das gewollt fröhliche Ambiente eines Wartezimmers von einem Kinderarzt. Ein bunt kariertes Sofa soll heimelige Atmosphäre schaffen, ein hölzernes Schaukelpferd soll Kinder lachen machen. Kinder, die nicht wissen, dass hier über ihr Schicksal entschieden wird.

Die Firma Genedia bietet einen "Bio-Tec-Service" an - Gentests. Technik und das Wissen um die Gene können den Menschen hier Geschichten aus ihrem eigenen Leben verraten. Ist das Kind, das ich liebe, wirklich meins? Hat mich womöglich gar nicht mein Vater gezeugt, sondern der gute alte Freund meiner Mutter, der auch so eine große Nase hat wie ich? Und so einige Mütter treibt die bange Frage um, welcher ihrer Liebhaber es denn war, der sie geschwängert hat.

Verräterische Spuren

Seit Mitte der Neunzigerjahre bieten Firmen wie Genedia sehr einfache Antworten auf diese schwierigen Fragen und dringen damit bisweilen in heikle Sphären vor. Eine gestohlene Zahnbürste, heimlich eingesammelte Zigarettenstummel, ein Schnuller, Wattestäbchen mit Ohrenschmalz oder auch angeleckte Briefmarken aus längst vergangenen Zeiten: Winzige Spuren, gewonnen von profanen Gebrauchsgegenständen, enthüllen in den Laboren der Münchener Firma mitunter lang gehegte Familiengeheimnisse. In Zeiten der Gentechnologie muss man nicht mehr vergleichen, ob die Ohrläppchen angewachsen sind oder ob sich ein Wirbel falsch herum dreht. 99,9 Prozent Sicherheit nimmt mit, wer den Hinterhof mit einem Testergebnis in der Hand verlässt. Oft hundertprozentig aber ist die Unsicherheit, was mit dem neuen Wissen nun geschehen soll.

Auf dem buntkarierten Sofa sitzt Hildegard Haas. Sie ist Biologin bei der Firma Genedia. Ihre Lippen hat sie im Ton des Sofas geschminkt. "Was mich in all den Jahren am meisten erstaunt hat, ist, wie sehr Männer durch Sexualität verletzt werden können", sagt Haas mit dunkler Stimme. "Die Zweifel an der Treue ihrer Frauen sitzen in den Männern sehr, sehr tief ", sagt Hildegard Haas, die einen weißen Kittel trägt. "Wir wollen sie nicht schüren. Aber wenn es Zweifel gibt, helfen wir dabei, sie aufzuklären."

Die Zweifel der Männer. Sie sind fast immer da. Ein Mann kann schließlich nie wirklich sicher sein. Wenn ihm sein Nachwuchs nicht gerade wie aus dem Gesicht geschnitten ist, wer garantiert ihm dann, dass es seiner ist? Uberall auf der Welt bohrt der Zweifel in den Männer-Seelen. "Mama's baby, papa's maybe", dichtet der Volksmund. Und die Huronen-Indianer aus Nordamerika vererben ihr Hab und Gut lieber gleich an die Kinder ihrer Schwester statt an die ihrer eigenen Frau.

Gerade in diesen Tagen gehen die Zweifel besonders tief. Der "Test nach dem Fest" bereitet den Gen-Laboren Hochkonjunktur. Nach Familienfesten, vor allem aber nach Weihnachten, steigt der Bedarf an Vaterschaftstests sprunghaft an. Sei es die geballte Anspannung, die Familien an Feiertagen bis zum Äußersten treibt; sei es, dass sich der Spross gar nicht über die Eisenbahn freut, die dem Vater früher so viel bedeutet hat; sei es, dass Männer endlich einmal Zeit haben zum Nachdenken über ihre Kinder: Jedenfalls ist vielen Vätern ihr Seelenfrieden derzeit einige hundert Euro wert. Unter www.gen-test.org wird Gewissheit passenderweise als preisgünstiges "Weihnachts-Special" angeboten.

Gezielt schüren viele der rund drei Dutzend Test-Anbieter die Ur-Ängste der Männer. "Sind Sie nicht sicher? Dann schaffen Sie jetzt Klarheit! Einfach von zu Hause aus", wirbt www.vaterschaftstest.tv. Daneben sieht man einen unglücklichen Mittdreißiger. Eher positiv formuliert es www.weristdervater.de ("Ohne Zweifel ins Familienglück"), während das ID-Labor aus Wiesbaden seine Kunden auf besonders perfide Weise sucht: "Ganz der Papa?", fragen Babys von Plakatwänden und Papierhandtüchern auf Herrentoiletten. Die Frage trifft die meisten Väter gleich zweimal: in Herz und Unterleib. So groß ist der Schmerz, dass inzwischen jedes Jahr rund 15 000 von ihnen die Labore nach der Wahrheit über ihre Kinder fragen.

Ganz unbegründet sind die Sorgen der Männer nicht. Denn Kuckuckskinder gibt es zuhauf unter den Menschen. Eine englische Studie kam zu dem Schluss, dass jedes zehnte Kind "Papa" zu einem Mann sagt, der fälschlicherweise glaubt, der Erzeuger zu sein. In manchen Gegenden Englands soll sogar jedes dritte Menschenleben während eines Seitensprungs seinen Anfang genommen haben. All diese Studien zum Thema halten harten wissenschaftlichen Kriterien kaum Stand. Zurückhaltendere Schätzungen gehen davon aus, dass in jeder Schulklasse ungefähr eines dieser Kinder sitzt.

"Die Moral", sagt Hildegard Haas, "die Moral sehen wir hier nicht. Wir verurteilen keine Frau und keinen Mann." Für die Biologin steht fest: Dass Frauen Affären haben, liegt in der Macht der Gene. Sie müssen die Erzeuger der wenigen Kinder, die sie in einem Leben bekommen können, gut auswählen. Denn im Gegensatz zu ihren kostbaren Eizellen sind Spermien zur Massenware der Evolution geworden. "Frauen, die zu uns kommen und nicht wissen, wer der Vater ihres Kindes ist, berichten, dass sie beim Seitensprung ,irgendwie getrieben' waren", erzählt Hildegard Haas. "Ich sage: Die waren genetisch getrieben."

Tatsächlich scheinen die Affären vieler Frauen von der Biologie bestimmt zu sein. In Wiener Diskotheken hat der Verhaltensforscher Karl Graminer festgestellt, dass Frauen an ihren fruchtbaren Tagen überdurchschnittlich oft fremdgehen. "Gen-Shopping" oder "genetischen Einkaufsbummel" nennen Evolutionsbiologen das.

Ob sie von einem unbewussten Kinderwunsch gesteuert werden oder ob sie die eigenen Gene zum Seitensprung treiben: Ihren Fortpflanzungserfolg erhöhen die Frauen mit dieser Strategie auf jeden Fall. Denn zum einen stoßen Männer bei einer heißen Affäre mehr Spermien aus als im vertrauten Ehebett. Und zum anderen wird auch der Partner potenter, wenn er einen Widersacher wittert: In den Ergüssen eifersüchtiger Männer zählten Wissenschaftler erheblich mehr Samenfäden als bei arglosen Zeitgenossen. Ein Wettrüsten im Kampf der Spermien um den größten Fortpflanzungserfolg.

Kampf vor Gericht

In diesem Kampf war Berthold Herlyn der Sieger. Jetzt sitzt er, der wie alle hier erwähnten Väter nicht mit seinen richtigen Namen genannt werden will, in einem Wirtshaus in Oberbayern und denkt vor allem an seinen Nebenbuhler. Fast wichtiger als seine Tochter, deren Abstammung ein Gen-Test vor ein paar Monaten offenbart hat, scheint Herlyn eines zu sein: dass sein Kontrahent das Kind nicht bekommt. Dabei hat den ohnehin schon die Höchststrafe der Evolution getroffen. Nach Jahren kinderloser Ehe ist seine Frau bei einem Techtelmechtel mit Herlyn schwanger geworden. Nun kämpft der leibliche Vater um seine Rechte - mit allen Mitteln. Mit seinem Gen-Test ist er sogar zu den Eltern des gehörnten Ehemanns gelaufen.

Dabei wollte Herlyn nie Kinder. "Als ich von der Schwangerschaft hörte, war ich geschockt", erinnert er sich. "Ich fühlte mich reingelegt." Nach und nach wuchs jedoch die Sehnsucht. Inzwischen streitet der 45-Jährige vor Gericht um seine ein Jahr alte Tochter. Morddrohungen des Ehemanns horrende Kosten und viel Ungewissheit was ihm der Nachweis der Vaterschaft letztlich nützen wird, nimmt Herlyn in Kauf. Eines seiner Augenlider zuckt, sein rundes Gesicht ist vor Aufregung ganz rot, als er sagt: "Ich tue das erstens, weil ich die Kleine unwahrscheinlich gerne hab und die Mutter auch, und zweitens, weil ich möchte, dass die beiden wegkommen von ihm."

Glück für Herlyn, dass die Mutter das neuerdings ähnlich sieht. Nur weil sie die Vaterschaftsklage eingereicht hat, hat er eine Chance. Denn rechtlich gesehen ist ein Baby, das in eine Ehe hineingeboren wird, automatisch das Kind des Ehemanns. Bis in den April 2003 hat es gedauert, dass das Bundesverfassungsgericht Männern erstmals das Recht eingeräumt hat, die Vaterschaft eines Ehemanns überhaupt anzufechten. Nun muss der Gesetzgeber die Rechtslage noch korrigieren. "In unserer Gesellschaft ist die Moral den Genen aufgesetzt worden", beklagt Hildegard Haas. "Mir gefällt es, dass die Kenntnisse der Genetik dies nun langsam umstürzen."

Sie stürzen allerdings auch so manchen harten Kerl um. "Wenn Männer entdecken, dass sie hinters Licht geführt urden, müssen viele erst einmal wieder lernen zurechtzukommen", sagt Haas. Deshalb legt Genedia vor dem Test Wert auf ein ausführliches Beratungsgespräch. "Die Männer sollen sich der Konsequenzen bewusst sein", sagt Haas. Trotzdem findet die Beratung nur in der Hälfte der Fälle auf dem buntkarierten Sofa statt. Jeder zweite Kunde bevorzugt das anonymere Telefon, und man kann Speichelproben auch einfach per Post an Genedia schicken.

Datenschützer sind durch die heimlichen Tests ohnehin längst alarmiert. Sie sehen die Persönlichkeitsrechte von Frau und Kindern verletzt. Schließlich können auch neugierige Nachbarn oder zweifelnde Großeltern im Leben anderer herumtesten wenn sie nur kreativ genug sind. Während das Öffnen fremder Briefe oder das ungefragte Mitschneiden von Gesprächen ein Straftatbestand ist, bewegen sich die DNS-Labore bisher lediglich in einer rechtlichen Grauzone. Dabei hat die genetische Wahrheit mitunter fatale Folgen. Manche Väter brechen von einem Tag auf den anderen die Beziehungen zu ihrer Familie ab. Andere schicken die falschen Kinder ins Internat.

Claus Waldenmaier, Humangenetiker und Berater von Genedia, sieht in den Gen-Tests trotzdem viel Gutes: "Wir zerstören nicht. Ganz im Gegenteil", glaubt er. Denn der Zweifel sei größer als die Untreue der Frauen: "In allen Laboren rund um den Globus hat nur einer von vier skeptischen Männern mit seinem Verdacht Recht." Den unbegründeten Argwohn auszuräumen, rette Familien häufiger, als dass die Wahrheit sie zerstöre. "Misstrauische Väter haben einen sehr negativen Effekt auf die Familie", sagt Waldenmaier. "Sie investieren weniger in ihre Kinder - materiell ebenso wie emotional. Sogar die Gewalt ist in Zweiflerfamilien erhöht." Letztlich sei es daher auch für das Kind besser, wenn es nicht in einer Atmosphäre des permanenten Misstrauens aufwachse.

Beim Lügen ertappt

"Viele Männer gehen mit der Erkenntnis, dass sie hinters Licht geführt worden sind, auch erstaunlich konstruktiv um", sagt Hildegard Haas. "Man sieht ihnen zwar an, wie verletzt sie sind. Aber wenn sie Unterstützung bekommen, meistern sie die Situation." Dabei scheint die Schmach, den Kampf der Spermien verloren zu haben, für die Männer oft das Schlimmste zu sein. Bin ich unfruchtbar? Das ist nach dem Gen-Test fast immer die erste Frage der eingebildeten Väter. Wer der Erzeuger ist, das wollen sie zunächst gar nicht wissen.

Auch Paul Schmitz hat seine Wandlung vom Vater zum Patenonkel inzwischen mit Würde vollzogen. Der Berliner Rentner war einige Zeit mit einer 40 Jahre jüngeren Polin befreundet. "Als sie schwanger wurde, ist gar nicht groß darüber geredet worden. Für mich war klar, dass ich der Vater bin", sagt Schmitz. Erst im Lauf der Zeit sei er misstrauisch geworden. immer öfter habe er die Freundin beim Lügen ertappt, "und dann habe ich gehört, dass man die Mutter für einen Vaterschaftstest gar nicht braucht". Seitdem muss Schmitz damit leben, dass ein anderer die inzwischen sieben Jahre alte Elisa gezeugt hat.

"Ich hatte mir sehr gewünscht, dass sie meine Tochter ist", sagt er. "Ich liebe dieses Kind." Daran habe sich auch nichts geändert, sagt er. Seine Unterhaltszahlungen hat Schmitz zwar eingestellt. Aber er fährt immer noch jede Woche 200 Kilometer nach Polen und zurück, um die Kleine zu besuchen. "Wenn es mir erlaubt ist", sagt er, "werde ich mich immer um sie kümmern."

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG
30.12.2003



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09.01.2004