Die nützlichen Kinder

Familienpolitik lohnt sich

VON RENATE SCHMIDT UND BERT RÜRUP

Endlich ist Bewegung in unsere Gesellschaftspolitik gekommen. Doch die Debatte um Erneuerung und Modernisierung der sozialen Architektur in Deutschland konzentriert sich fast ausschließlich auf den Arbeitsmarkt und die sozialen Sicherungssysteme. Die Kinder sind außerhalb dieses Blickwinkels geblieben, immer getreu dem Motto Adenauers: "Kinder kriegen die Leute von allein." Dabei sprechen gute ökonomische Argumente dafür, familienfreundliche Aktivitäten zu verstärken.

Der Begriff "demografischer Wandel" verharmlost die Veränderungen unserer Gesellschaft. Die so genannte Bevölkerungspyramide wird ein pilzförmiges Profil annehmen, bei dem im Jahre 2050 jeder jünger als 60 Jahre alte Jahrgang kleiner sein wird als der ältere. Dieses Phänomen einer implodierenden Gesellschaft ist, historisch gesehen, neu. Die Konsequenzen werden unser Land verändern. Der Druck, Geld von den Arbeitenden auf die Rentner zu verteilen, wird wachsen. Damit steigen, wenn nicht gegengesteuert wird, die Arbeitskosten, und das Wachstum wird gedämpft.

Für eine Gesellschaft und damit eine Volkswirtschaft wie die unsere bedeuten weniger Kinder weniger Wohlstand, weniger Dynamik, weniger Innovation und weniger Lebensqualität. Eine geringe Kinderzahl und dazu eine geringe Erwerbsbeteiligung der Frauen potenzieren die volkswirtschaftlichen Probleme, die das Älterwerden der Gesellschaft mit sich bringt. Eine mögliche Nachfrageschwäche als Folge der Alterung und der Schrumpfung der Bevölkerung ließe Teile des volkswirtschaftlichen Kapitalstocks obsolet werden.

Wir können die Folgen der Alterung nicht wegreformieren, wohl aber abfedern - und längerfristig einen Trendwechsel ermöglichen. Ein innovativer Umgang mit dem "neuen Alter", eine gesteuerte Zuwanderung, eine bessere Nutzung der weiblichen Potenziale sind richtige Antworten, die mittelfristig greifen. Selbst eine gute Kombination aller drei Faktoren ist aber kein Ersatz für eine wirksame Familienpolitik. Als Deutschland "jung" war, wurden die sozialen Sicherungssysteme ausgebaut, auch für das Alter. Heute, da Deutschland altert, ist es geboten, eine nachhaltige Familienpolitik zu betreiben.

Bisher wurde der Schwerpunktstatt auf Infrastruktur auf Geldleistungen gelegt, die direkt in die Familien fließen (Erziehungsgeld, Kindergeld, Steuervergünstigungen). Deutschland zahlt zum Beispiel im europäischen Vergleich nach Luxemburg das höchste Kindergeld. In keinem Land der Welt sind die steuerlichen Bedingungen für Familien günstiger. Hauptsächlich ging es darum, durch die finanzielle Förderung der Familie "Einkommensgerechtigkeit" zwischen Personen mit Kindern und Personen ohne Kinder zu schaffen. Familien sollten sich Kinder leisten können. Diese Politik war und ist aber ausweislich unserer Bevölkerungsentwicklung nicht wirksam genug.

Ob Menschen sich für Kinder entscheiden oder nicht, ist nach Aussage der OECD in besonderer Weise eine Frage des Angebo­tes an öffentlicher Betreuung. Ein gutes Angebot für Kinder auch unter drei Jahren hat danach einen besonderen Einfluss auf die Ge­burtenrate. Beispiele anderer Länder, etwa skandinavischer, bele­gen, dass sich Geburtenraten erhöhen, wenn mehr in Dienstleistungen für Familien und dafür weniger in Transfers investiert wird. Auch die Erwerbsquote von Frauen erhöht sich dadurch. Noch nie zuvor sind in Deutschland so viele gut und hoch qualifizierte Frauen kinderlos geblieben - eine Entwicklung, die sich so in keinem anderen europäischen Land vollzieht. Unter rein ökonomischen Gesichtspunkten gibt es so gut wie keine Anreize, Kinderwünsche zu realisieren. Kinder werden in der Regel geboren, weil sich die Eltern von der Erfüllung ihres Kinderwunsches eine Bereicherung ihres Lebens erhoffen.

Durch die Brille der Ökonomen kann dieser Entscheidungsprozess in einer "Kosten-Nutzen-Analyse" erklärt werden. Sind die Kosten zu hoch, also höher als der erwartete Nutzen, ist Kinderlosigkeit das Ergebnis der Entscheidung. Ökonomen bezeichnen beispielsweise das entgangene Einkommen beim Ausscheiden aus der Erwerbsarbeit infolge der Geburt als "Opportunitätskosten". Im Falle der Familiengründung bedeutet dies: Wer Kinder bekommt und aufzieht, kann andere Tätigkeiten und den damit verbundenen Nutzen nicht wahrnehmen und hat langfristig beträchtliche Einkommensverluste. Einiges spricht dafür, dass die Opportunitätskosten des ersten Kindes größer sind als die des zweiten. Diese Kosten sind in den OECD-Ländern geringer, in denen der Wiedereinstieg nach der Geburt erleichtert wird. Das trifft sowohl auf die nordeuropäischen Länder mit hoher Arbeitsplatzsicherheit und einem großen öffentlichen Sektor zu als auch auf flexible Arbeitsmärkte wie den der USA.

Positive Erfahrungen werden dort gemacht, wo eine Verringerung der Kosten durch eine relativ gut bezahlte, aber kurze Elternzeit in Kombination mit einer gut ausgebauten Kinderbetreuung erreicht wird. Die Regelung in Deutschland ist unbefriedigend, weil sie für den Elternteil mit dem höheren Einkommen, in der Regel den Vater, nicht attraktiv ist. In Schweden ist etwa ein Drittel der Eltemzeit mit einem Lohnausgleich abgesichert, und die Resonanz bei Vätern ist deutlich größer als in Deutschland. Durch gute öffentliche Angebote an Kinderbetreuung bestehen außerdem die Voraussetzungen, dass die Eltern früh in eine Erwerbstätigkeit zurückkehren.

Wer arbeiten möchte, der soll es können, wer bei den Kindern bleiben möchte, dem soll es möglich sein. So wie den Müttern eine Möglichkeit auf "mehr Beruf" eingeräumt werden muss, sollte den Vätern die Chance für "mehr Familie" eingeräumt werden. In Deutschland ist bei 52 Prozent der Paare mit Kindern unter sechs Jahren ausschließlich der Mann erwerbstätig, obwohl dieses nur bei sechs Prozent das gewünschte Erwerbsmuster ist. Bei 16 Prozent der Paare sind beide Partner vollzeitig beschäftigt, gewünscht wird dies von 32 Prozent. Die Diskrepanzen zeigen, dass die notwendige Balance von Familie und Erwerbsarbeit nicht gegeben ist.

Niedrige Geburtenraten sind kein Schicksal. Deutschland braucht mehr Kinder. Eine gut ausgebaute Kinderbetreuung ist auch volkswirtschaftlich von Vorteil. Jeder Euro, der in die frühe Förderung der Kinder, in ihre Bildung und Erziehung investiert wird, spart Sozialausgaben. Die Erwerbstätigkeit beider Eltern reduziert Familien- und Kinderarmut. jeder Euro, der in familienbezogene Infrastruktur investiert wird, ist eine ertragreiche Investition. Der Charme der Familie für jeden Einzelnen bedarf keiner Begründung. Wir werben dafür, den ökonomischen Nutzen genauso zur Kenntnis zu nehmen. Von einer nachhaltigen Familienpolitik profitieren alle.

DIE ZEIT
04.12.2003



Trennungsväter e.V.
19.01.2004